„Guten Morgen Alan!“, trällerte Chiara mir zu, als sie mich im Laufschritt kurz vor dem Stall einholte. „Na? Gut geschlafen? Tun dir die Knochen weh?“
„Ja und zwar ganz gewaltig.“, sagte ich und musste dennoch breit grinsen. Sie grinste zurück, dann brachten wir die zwei Maschinenpferde in die Maschine und als Dennis ankam, waren die beiden Boxen schon gemistet.
„Guten Morgen ihr Workaholics!“, sagte er und rieb sich die Augen. „Sorry Chef, dass ich verpennt habe.“ Der Trainer stand ebenfalls mitten in der Stallgasse und sah von einem zum anderen. Wir alle starrten ihn an.
Er schien irgendetwas sagen zu wollen, sagte dann schließlich nach einem Blick auf die Uhr: „Wir lassen die noch Auffressen und etwas verdauen. Alan, kommst du mal mit?“
Ich sah ihn an, folgte ihm dann aber nach vorn zur Tafel. „Ich habe dich gestern nicht noch mal gefragt. War dein erster Tag gut? Hast du dich wohl gefühlt?“
Ein breites Grinsen kletterte langsam über meinen Mund und meine Augen. „Ja, wirklich sehr viel.“
„Sehr gut, denn ich glaube du bist ein guter, fleißiger Junge. Wie viel wiegst du?“
Mein Grinsen verschwand. „So 63,5 kg zur Zeit.“, sagte ich und obwohl ich schon immer eher mager gewesen war, wusste ich, dass ich für diesen Sport zu groß und schwer war. Er nickte langsam. „Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid, okay? Sonst red einfach mit den anderen Jockeys.“
Ich nickte, empfand das Gespräch als seltsam aber dennoch fürsorglich von ihm.
„Na dann los. Erstes Lot.“
Ich sah zu, dass ich an Land gewann, mir das alte Sattelzeug von Chiara schnappte und zu Chilli kam. Die Stute sah mich etwas skeptisch an, mümmelte weiter an ihrem Heu und ließ mich kurz ihre Beine prüfen, einmal über die Sattellage wischen und satteln.
Als sie auch getrenst war lugte Chiara in die Box. „Alan, wir… oh! Du bist schon fertig!“
Offensichtlich war sie es noch nicht, deshalb ging ich mit ihr rüber zu Mondhopser und sattelte schnell mit. „Danke, das ist wirklich…“, die sonst so gesprächige Chiara stockte und bekam rote Wangen. „…wirklich voll cool von dir! Schmeißt du mich rauf? Dennis ist ja noch da und Trainer auch.“
Ich nickte, nahm ihren Unterschenkel und schon saß sie im Sattel. Sie sah mich etwas erstaunt an und trieb dann unter viel Mühe ihre lahme Ente aus der Box. „Vollmond… du machst mich schon jetzt alle…“, hörte ich sie murmeln, während träge klappernde Hufe die Stallgasse entlang gingen. Dennis stand schon vor mir. Da ich nicht unbedingt mit meinem Kopf gegen die obere Absperrung der Boxentür stoßen wollte warf Dennis mich in der Stallgasse rauf. Draußen stand Chiara mit Mondhopser und hatte es offensichtlich aufgegeben, die junge Stute zum Gehen zu überreden.
„Alan, die macht mich alle!“, jammerte sie, streichelte ihrem Liebling aber gleichzeitig mitfühlend über den Hals. Ich lächelte kurz, lenkte Chilli, die mit schnellen Schritten voranging auf eine kleine Runde vor dem Stall bis Dennis mit Sternchen rauskam. Kurz darauf schob der Trainer seinen alten Drahtesel auch aus dem Stall und somit waren wir vollzählig und machten uns auf den Weg zum Trabring.
„Und? Schon eingelebt ein bisschen? Bestimmt nicht, ist ja erst dein erster Tag. Als ich hier meine erste Woche hatte, kam ich mir vor wie ein Fremdkörper. Aber das ist auch schon echt lange her, weißt du? Wie gefällt es dir hier so? Hast du schon jemand anderen kennen gelernt? – Vollmond, beweg dich! – Wo war ich? Ach so. Ist der Sattel eigentlich okay? Ich weiß, es ist nicht der beste aber ich denke für den Anfang schon okay. Das ganze Sattelzeug in den Rennställen ist eh immer für die Katz. – Möndchen! TEEEERAAAB!!! – Ist der von meinem Ex. Hast du eigentlich eine Freundin?“
„Verdammt quatscht mal weniger und reitet mehr!“, rief eine weibliche Stimme hinter mir. Die Position als letzter in unserem kleinen Lot und das auch noch hinter Mondhopser, war eine wirklich undankbare.
Ich drehte mich um. „Wir sind so schnell wie wir können.“
„Na kein Wunder, dass eure Pferde im Rennen auch so lahm sind!“, entgegnete die junge Frau und grüne Augen leuchteten mir aufmüpfig entgegen. Woher kannte ich diese…? Ach. Mein erster Tag – die junge Frau, die ich nach dem Weg gefragt hatte.
Vor lauter Grübelei wäre Chilli fast auf Monds Hinter aufgelaufen. Wir drehten und ich erhaschte noch einen kurzen Blick auf die hellblond leuchtenden Haare. Als sie sich auf ihrem Pferd umdrehte lächelte sie, als habe sie mich ebenfalls erkannt.
In der Bahn angekommen war Chilli schon komplett nassgeschwitzt. Die junge Stute war den gesamten Weg seitwärts getänzelt und hatte sich hochgespult. Die Order hieß: die erste Gerade Aufgalopp, die zweite einen Spritzer. Chilli drängelte beim noch relativ ruhigen Tempo an Sternchen heran, doch Dennis blieb total locker wofür ich ihm sehr dankbar war. Um den zweiten Bogen ging es herum und ich merkte schon, wie Sternchen ausgreifender marschierte. Mein Herz klopfte bis zum Hals, ich nahm Chilli etwas nach außen, damit sie ihren Kopf nicht genau an Sternchen Arsch hatte. Dennis sah kurz zu uns nach hinten und rief mir zu: „Dann los, Al!“
Ich verkürzte den Zügel und allein darauf sprang Chilli an. Ich hatte die Hände voll und bretterte mit der kleinen Stute erst hinter Sternchen her und in der Mitte der Geraden hatten wir die erfahrene Stute ein. Ich richtete mich langsam aus meiner geduckten Haltung auf, ließ den Zügel etwas länger und Chilli verkürzte schwer atmend ihre Schritte, der Galopp wurde langsamer und nach der Hälfte des Bogens fiel sie in einen holprigen Trab. Knapp hinter uns parierte Dennis Sternchen durch und grinste breit, während Mondhopser im langsamen Galopp, prustend wie eine Dampflock, eintrudelte. Mit einer schimpfenden Chiara im Sattel. „Du willst doch mal ein Rennpferd werden, oder Vollmond? Dann musst du auch mal Rennen!“
Im Schritt rupfte mit Chilli den Zügel aus der Hand und trottete relaxt von der Bahn, wo uns der Trainer erwartete. „Wie war Chilli?“
Ich schluckte. „Als Stern angezogen hat im Bogen, ist sie sofort mit. Ich hatte die Hände richtig voll. Sie wär sicher noch schneller geworden.“
Er lächelte kurz und nickte. „Wir nehmen sie morgen von vorn. Sie wird morgen eine schnellere Arbeit mit einer anderen Partnerin machen.“
Ich nickte erneut, klopfte den schweißnassen Hals der Stute und sprach ihr ein paar lobende Worte zu.
Wieder am Stall kamen die Pferde in die Maschine, wir machten die Boxen, schmissen ordentlich Heu hinein und wischten die Futterkrippen und Tränken ordentlich aus bis es zum nächsten Lot ging.
Mushu sah mich aus großen Augen an, als ich mit seinem Halfter bewaffnet zu ihm in die Box stapfte. „Na Kleiner…“, sagte ich und versuchte ihn aufzuhalftern. Sofort schoss sein Kopf in die Höhe und er riss mir das Halfter am Genickstück aus der Hand. Frech schien er mich anzuschmunzeln während er das Halfter zwischen seinen kräftigen Zähnen hin und her schaukeln ließ.
„Mushu.“, sagte ich streng und packte das Halfter. Ich hielt es fest, er zog etwas daran und ließ dann aber doch locker. Ganz ruhig ließ er sich das Halfter über den Kopf streifen und danach auftrensen. Er lutschte verträumt an seinem Gebiss herum, während ich ihn aufsattelte, meine Kappe und meine Weste anlegte und ihn dann aus der Box führte.
Der Trainer kam gerade den Stall entlang, warf mich ohne etwas zu sagen auf den hübschen jungen Hengst und entließ mich nach draußen, wo Chiara auf Apple schon ihre Runden drehte. Begleitet vom Trainer auf seinem Rad und Dennis auf Kometenstern ging es zum Trabring, der wie gewöhnlich knackevoll war.
Ich erkannte die Blonde sofort. Auf einer hübschen Braunen Stute mit langen Beinen.
„Alan, träumst du? Wo guckst du eigentlich hin? Wir nehmen dich in die Mitte. Es sind noch viele mit ihren Stuten unterwegs. Und dann werden sie grantig. Weißt du ja, hast du ja selbst schon erlebt. Na los, mach voran, ich folge schon irgendwie. Wenn sich Apple mal bewegt…“
Ich lächelte Chiara kurz an und steuerte den etwas hippeligen Mushu hinter Komet her. „Mushuhhhuuu…“, murmelte ich ganz leise mit tiefer, sanfter Stimme und strich ihm über den schweißnassen Hals. Ich konzentrierte mich in der Trabarbeit voll und ganz auf das Pferd unter mir, saß ruhig, atmete langsam und versuchte ihn mit meiner Stimme zu beruhigen.
Nach dem Handwechsel verließen einige Pferde den Trabring und die ganze Angelegenheit wurde etwas entspannter, sodass auch Mushu irgendwann abschnaubte.
Immer wieder sah Dennis sich zu mir um, lächelte mir zu und sah sich Mushu genau an.
Am halblangen Zügel gingen wir zur Bahn. Trainer gab seine letzten Anweisungen und entließ uns dann auf die Trainierbahn, wo wir kurz in der entgegengesetzten Laufrichtung am Rand Schritt gingen, bei freier Bahn die Pferde eindrehten und im gemütlichen Kanter losgingen.
Mushu legte sich prüfend auf das Gebiss. Mit einer kräftigen Parade quittierte ich sein Verhalten sofort und er ging etwas leichter am Gebiss, wobei mich das viel Kraft kostete. Mushu schien heut nicht ganz so lebhaft wie bei unserem ersten Ritt. Er ließ sich ziemlich schicken.
Als Kometenstern im Bogen etwas zulegte hatte Mushu keine Lust. Ich gab ihm einen Klaps auf die Schulter, trieb ihn mehr mit meinen Schenkeln und meinem Gewicht vorwärts während ich den Zügel weiter aufnahm. Eigentlich ein klares Zeichen dafür, dass es schneller gehen soll.
Mushu drehte mir ein Ohr zu, entschied sich dann mir aber doch nicht zuzuhören und drehte sogar den Kopf provokant nach außen um einer Gruppe Pferde außerhalb der Trainingsbahn zuzusehen.
Applejack galoppierte nun locker neben uns. „Ist was, Alan?“
„Ne, ne. Mushu lässt sich ziemlich bitten.“
Chiara grinste nur und sagte ausnahmsweise mal gar nichts. Applejack zog lediglich leicht an uns vorbei und hinter Kometenstern her. „Mushu, das ist aber demütigend. Gestern sah das noch anders aus.“, murmelte ich dem Hengst zu und hörte schon hinter uns das nächste Lot anrollen.
Ich setzte mich in den Sattel und trieb ihn mit Gesäß und Schenkeln voran.
Seine Ohren schossen zu mir nach hinten, seine Galoppade wurde flacher und endlich folgte er Applejack und Kometenstern – nur das unser schneller Kanter schon vorbei war. Die beiden Führpferde wurden langsamer, als Mushu gerade ins Rollen kam.
Der Trainer konnte sein Schmunzeln kaum verbergen und auch Dennis grinste breit. Ich wurde hoch rot. „Mach dir nichts draus, Alan. Du bekommst ihn schon noch geknackt. Er spielt gern Spielchen.“
Ich nickte, fühlte mich aber dennoch irgendwie geknickt und war noch ruhiger als ohnehin schon.
„Allie, mach nicht so ein Gesicht und komm Pause machen.“
Bis ich merkte, dass Chiara mit ‚Allie‘ mich meinte, verging etwas Zeit. Als ich aufsah stand sie noch immer in der Box von Chilli, die ich gerade putzte. „Mh-hm.“, murmelte ich und senkte den Blick. „…mach noch schnell Hufe…“, hörte ich mich selbst brubbeln und ließ mir bei den Hufen Zeit, um dann in den Pausenraum zu wandern.
Es roch nach Kaffee. Dennis und Chiara futterten Kuchen und der Trainer rauchte eine Zigarette.
„Magst du Kuchen?“
Ich schüttelte, neben dem Versuch freundlich zu gucken, den Kopf und setzte mich auf ‚meinen‘ Platz. „Magst du eine rauchen?“, fragte der Trainer und schnippte mir die Schachtel über den Tisch hinweg zu. Ich zog es gerade wirklich in Erwägung, mir eine zu nehmen, um den Hunger in mir zu unterdrücken, sagte dann aber automatisch: „Vielen Dank, ich rauche nicht.“ Und schnippte die Packung wieder zurück.
Der Trainer und die anderen beiden grinsten.
„Ich kann dir ein paar Abnehm-Tipps geben, wenn du magst.“, sagte Chiara und sah mich mit ernstem Gesichtsausdruck an.
Dennis und der Trainer lachten plötzlich laut los. „Ja… Privatausritt…!!!“, hörte ich Dennis zwischen seinem ganzen Gelache prusten. Ich wusste nicht ganz, warum sie lachten, aber plötzlich wurde Chiara rot und ruhig.
Chimmi sah mich misstrauisch an, zog sich in seine Heuecke zurück und knabberte missmutig darauf herum, als ich ihn sattelte. Mit ruhigen Bewegungen ging ich vor. Er ließ sich zwar etwas bitten, aber schließlich hatte er die Trense auf dem Kopf und in der Stallgasse schmiss mich Dennis auf seinen Rücken. Der rote Wallach unter mir prustete verächtlich, als ich ihn aus dem Stall trieb und schnappte draußen nach meinem Fuß.
Ich blieb ruhig. Das allein schien den Wallach kurzzeitig zu verwundern. Denn bis zum Trabring tat er einfach nichts. Gelangweilt trottete er hinter den anderen beiden Wallachen her und sah sich um. Dennis sah mich misstrauisch an und sagte dann: „Du gehst mit ihm vor.“
Also trabte ich Chimmi an der Spitze. Auf dem Trabring war es relativ leer. Vielleicht hatten einige Ställe noch Frühstückspause oder waren schon auf der Bahn. Chimmi jedenfalls trabte flott aber gesittet unter mir voran, während ich entspannt und möglichst ohne jeglichen Bewegungen auf ihm leichttrabte. Die Trabrunden auf beiden Händen vergingen ereignislos.
Der Trainer sah mich kurz mit seinem ruhigen Blick an und sagte dann: „Geh du auf der Bahn vorn, Alan. Chiara geh du mit seinem Tempo mit Goodie mit und Dennis, guck du einfach, wie lange Orange Puste hat. Wenn er nicht mehr kann, dann schieb ihn nicht.“
Wir drei nickten im Chor. Während es zur Bahn ging erklärte mir der Trainer den Trainingsablauf. „Mach nicht so lahm wie eben auf Mushu. Er soll etwas marschieren gleich zu Beginn und guck mal was er zum Schluss sagt, wenn er schneller soll.“
Ich nickte, atmete ruhig und strich Chimmi über den roten Mähnenkamm. Er blieb weiterhin ruhig, trottete zur Bahn, trabte ein paar Schritte und sprang dann munter ab. Ich steuerte Chimmi wie ein Auto. Ein sanfter „Tritt auf das Gas“ reichte, um ihn schneller werden zu lassen. Ich musste nur zusehen, dass ich mich wenn er im richtigen Tempo war, ruhig verhielt. Einmal merkte ich selbst wie ich etwas zur Seite hing, was der Wallach sofort mit einem garstigen Buckler quittierte. Als ich mich wieder gefangen hatte hockte ich nur mucksmäuschenstill da.
Es kam mir vor wie in Zeitlupe. Der weite Bogen vor uns. Den Sand, den Chimmi hinter sich ließ…
„Na gut Junge…“, murmelte ich und hörte von hinten schon Goodie näher kommen. Chimmis Ohren rasten nach hinten und pressten sich flach an seinen Kopf. Ich kauerte mich so gut es ging auf ihm zusammen, nahm den Zügel noch straffer auf und spürte wie Chimmis Sprünge flacher und größer wurden.
Im Taumel der Geschwindigkeit hockte ich ruhig auf ihm, sah aber trotzdem den gut gehenden Goodie neben uns auftauchen und mit ihm eine breit grinsende Chiara, die mal nicht auf einem „lahmen Gaul“ saß. Ich setzte Chimmi nicht unter Druck, ließ ihn einfach so gehen, wie es ging. Als das Ende der Geraden immer näher kam, stellten Chiara uns ich in den Bügeln auf und unsere Pferde kamen prustend zugleich in den Trab und dann in den Schritt.
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Als wir zurückkehrten sah Dennis etwas bedröppelt aus. „Hätte gedacht, er geht schon besser, Trainer.“, murmelte er, während dieser die Pferde musterte. „Hätte ich auch gedacht.“, sagte er kurz, schnappte sich sein Rad und radelte davon.
Die Pferde und wir Reiter atmeten schwer und als wir uns alle etwas beruhigt hatten sagte Dennis: „Al, welchen Pakt haben Chimmi und du? ‚Du tust mir nichts, ich tu dir nichts?‘“
Als Antwort blieb mir nur ein kleines Schmunzeln.
Wenig später mit Unruh hatte ich nicht so einen Spaß wie mit Chimmi. Der schwarze Hengst war heute übel gelaunt, verpasste mir schon in der Box einen saftigen Tritt gegen den Oberschenkel, den ich ab dann bei jeder noch so kleinen Bewegung spürte.
Als Dennis mich auf den tänzelnden Rappen schmeißen wollte zuckte ich zusammen und musste den ersten Versuch abbrechen. „Was ist los? Keine Kraft mehr?“, fragte Dennis breit grinsend.
In der Tat. Ich war müde, meine Knochen taten weh und mein linker Oberschenkel hämmerte wie verrückt.
Unruh hopste aber schließlich in federndem Gang mit mir aus dem Stall heraus, machte einen gewaltigen Kragen und rollte sich auf, sodass egal wie kurz ich den Zügel nahm, ich ihn nie zu packen bekam.
Sehr viel besser wurde es auch in Begleitung von dem ruhigen Shiran und dem nervösen Smarty nicht. Unruh fletschte seine Zähne, rupfte mir immer wieder grob den Zügel aus der Hand und hüpfte mit der Hinterhand hoch. Nicht weit vom Erdboden weg aber doch so, dass es irgendwann nervig wurde.
Auf dem Trabring angekommen hatte er dann gar keine Lust mehr. Er ließ zwar das Herumgehopse sein, bewegte sich aber auch sonst nicht sehr viel. Wenn ich ihn jedoch zu viel anpackte um ihn vorwärts zu bekommen, schnappte er in die Luft oder buckelte kurz.
In der Bahn ließ er sich in der aufkommenden Hitze gewaltig Bitten. Mein Oberschenkel schien zu explodieren, dennoch versuchte ich meine Beine fest um ihn zu schließen, um ihn vorwärts zu bewegen. Er kroch missmutig hinter seinen Trainingsgefährten her und nach dem Kanter bestätigte Dennis mit seinem Kommentar meinen eigenen Gedanken: „Al, was machst du mit den Pferden? Du schläferst sie regelrecht ein.“
Er meinte es witzig, aber mir war nicht mal zu einem Anstandsschmunzeln zu Mute.
Der Trainer fragte jeden von uns nach seinem Trainingspferd und schien es gar nicht so schlimm empfunden zu haben, dass Unruh nur ‚schwerfällig‘ gearbeitet hatte. Mich munterte das ganze aber nicht sehr auf und so schrubbte ich als nächsten alle verbleibenden Krippen aus und putzte stumm Pferde.
Chiara war seit der Frühstückspause auch ziemlich ruhig. Beim Füttern, das er sonst mit Dennis machte, holte der Trainer uns beide heran und schickte Dennis schon nach Hause.
Erst drückte er uns stumm die Eimer der jeweiligen Pferde in die Hand und dann sagte er: „Unruh hat gut gearbeitet. Er ist mal nicht durchgebrannt und ist doch recht gut gekantert.“
Ich sah ihn direkt an und in mir verteilte sich wohlige Wärme und Dankbarkeit. Als ob es nur dieses zwei Sätze gewesen wären, flog die Anspannung von mir ab. „Ich bin noch sehr unsicher und hatte so ein schlechtes Gefühl…“
„Bist kein falscher Junge, Alan. Brauchst etwas Selbstvertrauen und Routine.“, schmunzelte er und drückte mir den nächsten Eimer in die Hand. Mit meiner Anspannung schien auch die von Chiara zu verschwinden. „Trainer, ich darf doch am Wochenende Mondhopser führen oder nicht? Ich würde mich so freuen, denn sie ist ja mein kleiner Vollmond… und ich hab sie so gern! – nicht wahr, Vollmond meine Kleine?“, sie strich der Stute kurz über die Stirn bevor sie die Boxentür schloss und dem Trainer den leeren Eimer gab.
„Natürlich. Wer sonst gibt sie die Blöße einen riesigen Stau im Führring zu verursachen wenn nicht du?“, sagte der Trainer und grinste. Ich musste auch schmunzelnd, denn vor meinem inneren Auge entstand folgendes Bild: Mondhopser steht alle Viere fest auf dem Boden verankert im Führring, während Chiara daneben steht, am Führzügel zerrt und mit Engelsstimmen auf sie einredet. Dahinter schimpfende Pfleger mit ihren Pferden, die um das statuehafte Paar herum gehen.
Chiara stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite. „Ey. Zweiter Tag und du lebst ganz schön auf!“
Ich sah sie nur unschuldig an, verschwand in einer Box und wir drei fütterten mit fröhlichen Gesichtern zu Ende.
„Al, wie geht’s dir? Warum hast du dich gestern nicht gemeldet?“
Ich atmete tief ein, als ich die durch das Handy blecherne Stimme meiner Freundin hörte. „Hey Hexe. Hier ist viel los, ich bin ziemlich alle. Wie war die Uni?“
„Ganz gut…“, sagte sie lahm, dann herrschte Stille in der Leitung.
„Al, bist du noch da?“
„Ja.“
„Ist irgendwas?“
„Nein, bin nur müde…“
„Dann leg dich hin und ruh dich aus. Kommst du am Wochenende nach Hause?“
Das zu Hause lag 8 Stunden entfernt in Rostock. Weiter weg ging es innerhalb Deutschlands also nicht. „Marisa… ich bin in Baden-Baden, nicht in Schwerin. Außerdem gibt es hier kein Wochenende.“
Nun ging das Schweigen von der anderen Seite aus.
„Komm doch runter, du hast doch noch Semesterferien bis Oktober.“
„Du auch. Du kommst doch im Oktober wieder her und studierst weiter?“
Ich schwieg.
„Al, das ist nicht dein ernst! Es war die Rede davon, dass du es mal ausprobierst.“
„Es macht Spaß.“
„In der Scheiße wühlen macht Spaß? Al, das ist ein Job für Dummbrote! Du schuftest dich zu Tode und verdienst nicht mal was dabei.“
„Marisa…“, sagte ich erschöpft. Doch wenn sich die rotblonde Schönheit erst einmal in Rage redete, dann machte sie ihrem Spitznamen „Hexe“ alle Ehre.
„Du fehlst mir.“, sagte sie leise.
„Gute Nacht.“, sagte ich und warf dann einen kurzen Blick auf den hufgroßen, geschwollenen, lila-schwarzen Fleck auf meinem Oberschenkel.
__________________
|